Interviews

Interview: Dr. Stefan Nacke, MdB

Dr. Stefan Nacke, MdB (CDU/CSU), Ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages, Berichterstatter für Rehabilitation

DEGEMED: Herr Dr. Nacke, wir erleben einen sich verschärfenden Fach- und Arbeitskräftemangel durch die Demographie, wir stehen vor Herausforderungen bei der klimaneutralen Transformation und sind aktuell mit einer schwachen Konjunktur sowie einer schwierigen Haushaltslage knapp
ein Jahr vor dem regulären Termin der Bundestagswahl konfrontiert. Welche Folgen hat dies für die Rehabilitation?

Ihre Aufzählung macht schon deutlich, wie wichtig die Rolle der Rehabilitation bei der Bewältigung der Herausforderungen ist und sein wird. Die Gesundheit der Menschen ist und bleibt hierfür eine wesentliche Grundlage. Und um die Gesundheit noch besser fördern zu können, müssen wir Prävention und Rehabilitation nachhaltig stärken. Das heißt in der aktuellen Krisen-Zeit insbesondere, dass wir die Prozesse in den verschiedenen sozialen Sicherungssystemen effizienter gestalten müssen: Zunächst müssen die Bedarfe der Menschen erkannt werden. Dies erfolgt noch nicht systematisch genug. Dann müssen die sozialstaatlichen Leistungen passgenau aufeinander abgestimmt werden, insbesondere an den Schnittstellen der Sozialversicherungszweige. Die Prozesse müssen dabei an den individuellen Bedürfnissen ausgerichtet sein, dass sie den Betroffenen Schritt für Schritt auch tatsächlich helfen auf ihrem Weg der Rehabilitation. Je nach Ausgangslage und Personengruppe sind die Träger der Renten-, der Kranken-, der Unfallversicherung, der Agentur für Arbeit oder der Kinder- und Jugendhilfe für die Bewilligung von Maßnahmen zuständig, auch wenn die Leistungen später von ein und derselben Einrichtung erbracht werden. Wir lassen hier aktuell noch viel Potenzial ungenutzt, wenn Akteure nicht an einem Strang ziehen oder Menschen den Überblick im Dschungel unseres Sozialstaates verlieren. Seit unserem ersten Interview für die RehaStimme zu Beginn der Legislaturperiode hat die Regierungskoalition leider nichts Substantielles bei Prävention und Rehabilitation vorgelegt. Dabei müssten die Dinge längst angepackt werden, damit wir die Reha-Landschaft in eine sichere Zukunft führen und die Qualität weiter stärken. Hier muss die Ampel nun endlich einen Politikwechsel einleiten – weg von bloßer Ankündigungspolitik und dem Dauerstreit hin zu konkretem Handeln!

DEGEMED: Sie haben federführend für Ihre Fraktion einen Antrag „Reintegration in das Erwerbsleben verbessern“ erarbeitet und in den Bundestag eingebracht, der Mitte Mai das erste Mal im Plenum debattiert wurde. Was ist das zentrale Vorhaben des Antrags der CDU/CSU-Fraktion?

Wir möchten gezielt die Menschen unterstützen, die durch einen schweren Unfall oder durch eine schwere Krankheit aus ihrem Arbeitsleben gerissen wurden und dann mit komplexen Behandlungssituationen konfrontiert sind, etwa weil unterschiedliche Leistungserbringer eingebunden sind oder mehrere Maßnahmen parallel verlaufen. In vielen Fällen wäre eine gezielte Wiedereingliederung in das Erwerbsleben möglich, wenn alle bereits vorhandenen Rehabilitations-Möglichkeiten ohne Verzögerung genutzt würden. Mit unserem integrierten Konzept eines individuellen Fallmanagements der Lotsen schaffen wir im gesamten Reha-System eine zentrale Stelle, die die Betroffenen auf dem Weg zurück in das Arbeitsleben individuell begleitet. Die Prozesse der einzelnen Maßnahmen werden durch die Lotsen gebündelt und gezielt zwischen allen Beteiligten koordiniert. Der Lotse fungiert dabei als Ansprechpartner für organisatorische sowie inhaltliche Fragen und ist persönlicher Motivator bei der Reintegration. Damit kann sichergestellt werden, dass der Rehabilitationsprozess ohne Verzögerungen eingeleitet und fortlaufend zielgenau begleitet wird, und damit gesundheitsbedingte Rückfälle und drohende Erwerbsminderungen vermieden werden.

DEGEMED: Eine Unterstützung durch Lotsen gibt es bereits in bestimmten Situationen, was ist der neue Ansatz an ihrem Antrag?

Das ist richtig, solche Lotsen existieren für bestimmte Sonderfälle bereits, aber die Unterstützung bleibt auf einzelne regionale Modellprojekte begrenzt oder steht nur einer ganz bestimmten Gruppe von Betroffenen offen. Bisher werden viele Betroffene, denen ein individuelles Fallmanagement helfen
würde, nicht erreicht. Das wollen wir ändern. Wir fordern eine gesetzliche Verankerung im SGB VI zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung, damit erstens alle Versicherten mit komplexen Behandlungssituationen eine solche Unterstützungsleistung erhalten und zweitens für alle Akteure eine verbindliche und einheitliche Rechtsgrundlage für das Fallmanagement geschaffen wird. Dabei können wir wertvolle Erkenntnisse aus den einzelnen Pilotprojekten ziehen. Mir war es wichtig, dass wir die Initiative mit Experten aus der Praxis entwickeln und gut mit den anderen Fachpolitikern aus der Fraktion abstimmen. Denn für die erfolgreiche Umsetzung ist es sehr wichtig, dass wir das individuelle Fallmanagement der Lotsen als integriertes Gesamtkonzept verstehen und wir es in die Prozesse der Akteure einbinden. Der Personalaufwand ist dabei überschaubar, wir reden hier im Durschnitt von einer einstelligen Zahl an zusätzlichen Fachkräften in jedem Bundesland und einer Zertifizierung für die Lotsen-Tätigkeit beispielsweise von Reha-Beratern, sofern diese nicht ohnehin schon vorliegt. Unser Unionsantrag nimmt den Leitspruch „Prävention vor Reha, Reha vor Rente“ ernst und zeigt auf, wie wir Menschen bei der Rückkehr ins Arbeitsleben nachhaltig unterstützen können – und dies am Ende sogar aufkommensneutral! Wenn wir das Lotsen-Konzept flächendeckend implementieren, schaffen
wir positive Effekte für die Betroffenen selbst, die wieder arbeitsfähig sind, für die Sozialversicherungen, die Beitragseinnahmen erhalten, und schließlich für den Arbeitsmarkt und die ganze Volkswirtschaft. Die Präventionspotenziale sind beträchtlich: Jedes Jahr erhalten rund 160.000 Personen eine Erwerbsminderungsrente, die aufgrund von Krankheit vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Das ist jedes Jahr eine Größenordnung von immerhin der Hälfte der Einwohnerzahl meiner Heimatstadt Münster! Von Erwerbsminderung sind damit rund 15 Prozent der Versicherten betroffen, die jährlich eine
neue Rente beziehen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin schätzt die jährlichen volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle aufgrund von Arbeitsunfähigkeit auf 89 Milliarden und den Ausfall an Bruttowertschöpfung sogar auf ganze 153 Milliarden Euro! Die Zahlen machen sehr deutlich, welche Präventionspotenziale hier bestehen.

DEGEMED: Braucht es zur Vermeidung von Erwerbsminderungsrenten Ihrer Ansicht nach auch eine bedarfsgerechtere Ausgestaltung des Reha-Budgets?

Die starre Deckelung des Reha-Budgets passt nicht mehr in unsere Zeit. Wir brauchen hier eine Flexibilisierung, die sich gezielter am tatsächlichen Bedarf orientiert. Ich stelle mir eine Weiterentwicklung vor, dass das Reha-Budget als Orientierungslinie bzw. als Zielvorgabe dient und keine Obergrenze darstellt, bei deren Überschreitungen als Kompensation Minderauslastungen bei einem Teil der Träger drohen. Alle Betroffenen, die einen Reha-Bedarf haben, sollten die Leistungen auch erhalten. Diese Flexibilisierung wäre eine weitere Stellschraube zur Vermeidung von Erwerbsminderung, denn nur etwa die Hälfte der Menschen in der Erwerbsminderungsrente hat zuvor ein Angebot für eine Rehabilitation bekommen. Zudem sollten die regionalen Träger der Deutschen Rentenversicherung die Möglichkeit erhalten, in ihren Haushalten selbst Schwerpunkte zu setzen, damit sie den individuell und regional unterschiedlichen Bedarfen gerecht werden. Dabei ist immer ein verantwortungsvoller und wirtschaftlicher Einsatz der Beitragsgelder des Reha-Budgets sicherzustellen.

Das Gepräch führte Vera Knieps.


Website Dr. Stefan Nacke, MdB
https://www.cducsu.de/abgeordnete/stefan-nacke


Website CDU/CSU Bundestagsfraktion
https://www.cducsu.de/

Foto: Klaus Altevogt

Kontakt:

Vera Knieps
Referentin Politik

Tel.: 030 / 28 44 96-80
Fax: 030 / 28 44 96-70

v.knieps@degemed.de

Interview: Jens Teutrine, MdB

DEGEMED mit Dialog mit: Jens Teutrine, MdB (FDP), Sprecher für Bürgergeld und Pflegepolitik, Vorsitzender der Jungen Gruppe der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales und im Gesundheitsausschuss

Mehr erfahren »

Alle Interviews anzeigen

Lorem ipsum dolor sit amet consectetur adipiscing elit dolor
Interviews