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Interview: Johannes Wagner, MdB

Johannes Wagner, MdB, Berichterstatter für Prävention im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages, Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

DEGEMED: Hat Prävention in Deutschland die notwendige Bedeutung und wie kann mehr Prävention gemeinsam gelingen?

Prävention hat in Deutschland immer noch einen schweren Stand. Das sehen wir einerseits in unserem Gesundheitssystem, das sehr stark auf die Versorgung von Erkrankungen ausgerichtet ist. Hier wäre ein größerer Schwerpunkt auf Vorsorge nicht nur für den Einzelnen sinnvoll, sondern auch für das solidarische Versichertensystem. Aber auch in allen anderen Politikbereichen müsste Prävention eine viel größere Rolle spielen. Wir brauchen gesünderes Essen in Kantinen, mehr fahrrad- und fußgängerfreundliche Innenstädte und ein Steuersystem, das gesunde Lebensmittel begünstigt. Mit dieser Art von Verhältnisprävention hätten wir schon viel gewonnen. Der gesunde Weg muss der einfache sein. Leider sehen das nicht alle politisch Verantwortlichen so.  

DEGEMED: Was muss auf der Ebene der Bundesgesetzgebung geschehen, um mehr Menschen Prävention nahe zu bringen? Welche Initiativen wird die Bundesregierung vor Ablauf der Wahlperiode umsetzen? 

Mit dem Präventionsgesetz wurde 2015 ein wichtiger Schritt getan, um Prävention als Kassenleistung zu verankern. In den vergangenen acht Jahren sind allerdings auch einige Punkte sichtbar geworden, die an den Regelungen noch verbessert werden müssen. Sinn und Zweck des Präventionsgesetzes ist ja nicht, dass Student_innen, die auch sonst auf ihre Gesundheit achten würden, Yogakurse von der Krankenkasse bezahlt bekommen. Wir müssen vielmehr diejenigen erreichen, die sich mit Bewegung und gesunder Ernährung in ihrem Alltag schwertun. Darauf ist bei den aktuellen Angeboten noch zu wenig der Fokus gelegt. Die Überarbeitung des Präventionsgesetzes haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart und ich schätze es als sehr wichtig ein, dass das in den nächsten zwei Jahren auch noch umgesetzt wird. Kommen wird außerdem ein Nationaler Präventionsplan, der konkrete Maßnahmen zu verschiedenen wichtigen Themenbereichen, wie Diabetes, Einsamkeit und der Vorbeugung von klima- und umweltbedingten Gesundheitsschäden enthalten wird. Das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit ist ein weiterer wichtiger Stein, den wir in dieser Legislatur noch setzen werden. Prävention ist ein wichtiger Arbeitsbereich des neuen Bundesinstituts. Insgesamt muss auch über diese Legislatur hinaus Gesundheit eine viel größere Rolle in der Bundesgesetzgebung auch der anderen Ressorts spielen. Maßnahmen, die der Gesundheit schaden, dürfen nicht mehr umgesetzt werden.   

DEGEMED: Vor Ihrer Tätigkeit als Abgeordneter waren Sie als Kinderarzt tätig. Wie bewerten Sie insbesondere aus dieser fachlichen Sicht das bestehenden Präventionsangebot für Kinder- und Jugendliche?

Aus meiner Sicht müsste die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft einen viel höheren Stellenwert einnehmen. Insbesondere seit der Pandemie leiden viele Kinder unter physischen und psychischen Belastungen. Aber auch mit Klimaangst haben immer mehr Kinder und Jugendliche zu kämpfen. Hier müssen wir dringend gegensteuern. Sinnvoll ist es, Kinder und Jugendliche in den Lebensräumen zu erreichen, wo sie sich täglich aufhalten. Dazu zählen Kita und Schule genauso wie Sportvereine. Hier gibt es bereits tolle Angebote und Projekte, die weiter ausgebaut werden sollten. Als Ampel-Koalition haben wir beispielsweise Mental Health Coaches in Schulen eingeführt, die auch Präventionsarbeit zur seelischen Gesundheit leisten.  

Noch mehr als gegenüber Erwachsenen liegt es außerdem in der Verantwortung der Politik, Kindern und Jugendlichen gesundheitsförderliche Lebensbedingungen zu bieten. Es ist ein Armutszeugnis, dass die Regulierung von Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richtet, wegen politischer Querelen noch immer nicht umgesetzt werden konnte. Wir haben uns als Ampel im Koalitionsvertrag auf diese sinnvolle Maßnahme geeinigt und unser Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat auch einen entsprechenden Referentenentwurf vorgelegt. Auch eine ganze Reihe von Fachgesellschaften hat sich mittlerweile hierfür ausgesprochen. Wir sind es unseren Kindern schuldig, ihre Gesundheit über die finanziellen Interessen der Lebensmittel-Lobby zu stellen und dafür setze ich mich auch weiter ein. 

DEGEMED: Allen Arbeitnehmer_innen stehen Präventionsleistungen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zu. Das Präventionsangebot wird aber im Verhältnis zur Zahl der Anspruchsberechtigten bislang nur von wenigen genutzt. Wer muss Ihrer Auffassung nach handeln, damit mehr Arbeitnehmer_innen Präventionsleistungen in Anspruch nehmen?

Der Arbeitsplatz ist ein sinnvoller Ort, um auch Menschen mit Präventionsangeboten zu erreichen, die ansonsten durchs Raster fallen. Informationen und Angebote sind allerdings nur ein Baustein. Menschen in prekärer Beschäftigung oder mit hoher Arbeitsbelastung, die ggf. noch Care-Arbeit leisten, haben einfach keine Zeit, Präventionskurse in Anspruch zu nehmen. Gesundheit ist damit leider auch immer noch eine soziale Frage. Soziale Ungleichheiten anzugehen, ist weiterhin ein wichtiges politisches Ziel. Auch und insbesondere für diese Gruppen ist es darüber hinaus aber wichtig, in einem möglichst gesundheitsförderlichen Umfeld zu leben. Verhältnisprävention kommt jedem zugute.   

DEGEMED: Psychische Erkrankungen sind laut aktuellem Reha-Bericht der DRV die zweithäufigste Erkrankung, die zu Reha-Bedarf führt. Welchen besonderen Präventionsbedarf sehen Sie bei diesem Thema, um den weiteren Anstieg psychischer Erkrankungen einzudämmen?

Auch bei seelischer Gesundheit ist Verhältnisprävention ein wichtiges Stichwort. So hat etwa die Klimakrise direkte Auswirkungen auf die seelische Gesundheit: Beispielsweise führen Hitzewellen und Luftverschmutzung zu einem Anstieg von Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Schizophrenie. Klimaschutz ist damit auch in Bezug auf die seelische Gesundheit Gesundheitsschutz.  

Um den Anstieg psychischer Erkrankungen einzudämmen, brauchen wir außerdem bessere Notfallmechanismen in diesem Bereich. Mental Health First Aid kann, analog zum Erste-Hilfe-Kurs für körperliche Gesundheit, für psychische Belastungen und Erkrankungen sensibilisieren und bei Bedarf Wege ins Hilfesystem aufzeigen. Wir setzen uns als Grüne außerdem dafür ein, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen bei der Notfallreform nicht vergessen werden und Krisendienste flächendeckend ausgebaut werden. Hier können Menschen niedrigschwellige Hilfen angeboten werden, damit psychische Erkrankungen gar nicht erst entstehen oder immerhin nicht chronisch werden.

Die Fragen stellte Vera Knieps

Pressebild Johannes Wagner: https://www.johannes-wagner.org/presse

Kontakt:

Vera Knieps
Referentin Politik

Tel.: 030 / 28 44 96-80
Fax: 030 / 28 44 96-70

v.knieps@degemed.de

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